Neue Dringlichkeit (Zürich)

BRAZILIFICATION

In Rio de Janeiro steht ein Sheraton Hotel direkt vor einer Favela. Durch die Meere vor der Küste fahren Privatkatamarane und im Inneren des Landes gibt es mancherorts noch Sklaverei. In Sao Paulo gibt es Hubschrauber-Taxi-Unternehmen, damit die Reichen den Boden nicht mehr betreten müssen, der ihnen unsicher scheint.
Der Begriff «Brazilification» steht in Douglas Couplands Kult-Roman «Generation X» für: The widening gulf between the rich and the poor and the accompanying disappearance of the middle classes.
In Brasilien werden Vorgänge sinnlich fassbar, die auf globaler Ebene nur abstrakt zu verstehen sind: Das Auseinanderklaffen zwischen Arm und Reich, der Zusammenhang zwischen struktureller und physischer Gewalt und die Folgen der totalen Entfesselung des Marktes. 

Miriam Walther Kohn und Christopher Kriese sind zwischen Brasilien und Europa aufgewachsen. Marcel Grissmer ist nach der Schule als Aussteiger in Paraty, Brasilien hängen geblieben. Ihre brasilianischen Erfahrungen nehmen kriese/walther/grissmer als Ausgangspunkt für eine autodokumentarische, performative und politische Suchbewegung. Brasilien dient ihnen dabei als Projektionsfläche für die Auseinandersetzung mit sozialer Ungerechtigkeit, ihrer eigenen Positionierung zu dieser Thematik und Möglichkeiten der Intervention. Sie tun das mit fast unspektakulärer Leichtigkeit und erwischen uns kalt. Sie mixen Caipirinhas und Short Cuts, im Zeitsprung geht’s voran und wieder zurück: Episoden aus der Kindheit, von Kontinentenwechseln, Fragmente elterlicher und grosselterlicher Migrationsbiografien, koloniale Erfolgsstorys, die in ihre eigenen Such- und Fluchtbewegungen hineinreichen und sie im Irgendwo des Widerspruchs von arm und reich stehen lassen. Und man fragt sich, was ist Ursache, was Wirkung und wie zum Teufel kommt man aus dem zirkulösen Globalschlamassel wieder raus?

Neue Dringlichkeit (nD) entstand am 3. Dezember 2010, zusammen mit anderen Künstlern, aus einem «Spontanfestival gegen die Fremdenfeindlichkeit der Schweiz». nD bezeichnet sich als paradoxes Kollektiv. Es sucht/will/findet das Politische in der Kunst.

Von und mit: Miriam Walther Kohn, Christopher Kriese, Marcel Grissmer

Koproduktion: Zürcher Hochschule der Künste, Theaterhaus Gessnerallee, stadttheater.tv

TOJO THEATER REITSCHULE
FR 26.4 | 20:00 anschl. Publikumsgespräch
SA 27.4. | 18:30

Sprache: Deutsch
Spieldauer: 50 min
Eintritt: 25.–/20.–

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