Rimini Protokoll, Helgard Haug & Daniel Wetzel (Berlin)
Qualitätskontrolle
ICH habe nie gefragt, WARUM mir das passiert ist. Warum ich vor 20 Jahren zur Feier meines Abiturs mit meinen Eltern aus Stuttgart nach Kreta flog. Warum ich in den Pool der Ferienanlage sprang – kopfüber, auf der Nichtschwimmerseite. Das war die letzte Bewegung, zu der ich meinen Körper antreiben konnte. Seitdem herrscht Funkstille zwischen uns, von den Schultern abwärts.
Maria-Cristina Hallwachs bestreitet diesen Theaterabend alleine – doch ‹alleine› heisst bei ihr etwas anderes als bei den meisten Leuten. Ohne jemanden um sich, würde die Tetraplegikerin nach spätestens vier Stunden sterben. Die Batterien des Zwerchfellstimulators müssen ersetzte werden, sie kann weder alleine trinken, noch sich räuspern. So ist auch auf der Bühne – wie in ihrem Alltag – stets ein Assistent oder eine Assistentin in Rufweite.
Im Krankenhaus war sie eine kleine Sensation zu einer Zeit, als man noch kaum Erfahrungen hatte mit Menschen, die einen Genickbruch überlebt hatten. Gleichzeitig tagte eine Ethikkommission, die darüber beriet, ob man die Geräte nicht besser abschalte, während die Patientin im künstlichen Koma lag. Ein solches Leben war auch für sie vor ihrem Unfall undenkbar. Jetzt lebt sie es – sichtbar voller Freude und Tatendrang.
Mit ihrer sanft ironischen und spielerischen Inszenierung schafft es Rimini Protokoll, dem schwierigen Thema die melancholische Trauer zu nehmen, alles ist von gedanklicher Tiefe und zugleich von lebensbejahender Leichtigkeit. Ich habe lange nicht mehr so einen klugen und bewegenden Theaterabend gesehen.
RBB kulturradio
Helgard Haug und Daniel Wetzel bilden zusammen mit Stefan Kaegi seit 2000 ein Autoren-Regie-Team. Ihre Arbeiten im Bereich Theater, Hörspiel, Film, Installation entstehen in Zweier- und Dreier-Konstellationen oder auch solo. Seit 2002 werden all ihre Arbeiten unter dem Label Rimini Protokollzusammengefasst und angekündigt. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Weiterentwicklung der Mittel des Theaters, um ungewöhnliche Sichtweisen auf unsere Wirklichkeit zu ermöglichen. Sie wurden dieses Jahr zum dritten Mal ans Berliner Theatertreffen eingeladen und erhielten zahlreiche Preise, u. a. 2011 den Silbernen Löwen der 41. Theaterbiennale Venedig für ihr Gesamtwerk.
Mit Maria-Cristina Hallwachs, Timea Mihályi, Admir Dzinić Konzept, Text, Regie Helgard Haug, Daniel Wetzel Bühne, Licht, Videomapping Marc Jungreithmeier Bühne Marco Canevacci (Plastique Fantastique) Video, Videomapping Grit Schuster Musik: Barbara Morgenstern Dramaturgie, Recherche: Sebastian Brünger Produktionsleitung Heidrun Schlegel Regieassistenz, Recherche Markus Klemenz Bühnenbildassistenz Ewa Sobczak Produktionsassistenz Caroline Lippert
Produktion Staatstheater Stuttgart Koproduktion Rimini Apparat
Sprache Deutsch
Spieldauer 1h 30min