Ballhaus Naunynstrasse (Berlin)

Jenseits - Bist du schwul oder bist du Türke?

Ich bin homosexueller Türke und genieße die Früchte des positiven Rassismus in Deutschland. Nur weil ich schwul bin, habe ich gleich Arbeit gefunden, habe viele Menschen um mich gehabt. Viele Menschen stehen vor mir voller Bewunderung nach dem Motto: «Oh, der ist hierher gekommen, um sich zu emanzipieren! Lasst uns ihn mit vereinten Kräften befreien.» Und ich denke: Na dann, erlöst mich mal!

Eigentlich gibt es sie nicht, die schwulen Türken in Deutschland. In der türkischen Gesellschaft sind sie tabu und in der deutschen schwul. Und wenn sie sich nicht entscheiden, bleiben sie ganz einfach unsichtbar. Nurkan Erpulat hat Interviews mit homosexuellen Männern türkischer Herkunft in Berlin geführt, ihre Geschichten und ein Quintett schwuler Türken auf die Bühne gestellt, vom Koranschüler über den Transvestiten bis zum Junkie. Deren Selbstverständnis, ihre autonomen Selbstbehauptungsräume sind mit herkömmlichen Identitätsmustern nicht mehr fassbar. Erpulats Inszenierung rückt den Diskurs über die Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft aus den üblichen ausgeleierten Integrationsdebatten auf kaum bekannte Konfliktfelder jenseits ethnisch-kultureller Hintergründe. 

Das Ende 2008 wiedereröffnete Ballhaus Naunynstrasse in Berlin-Kreuzberg versteht sich als Zentrum für postmigrantische Kulturproduktionen. Die neue künstlerische Leiterin Shermin Langhoff tritt mit einem Netzwerk von Künstlern und Künstlerinnen der zweiten und dritten Generation an, mit dabei Fatih Akın, Mıraz Bezar, Nuran David Calis, Neco Çelik, Ceza, Canan Erek, Nurkan Erpulat, Kadir Memiş, Hakan Savaş Mican, Mehdi Moinzadeh, Idil Üner, Mürtüz Yolcu, Feridun Zaimoğlu u. v. a. Den Schwerpunkt bilden eigene Theaterproduktionen, darüber hinaus gilt das Interesse den neuesten Entwicklungen in Tanz, Film, Musik und Literatur. Projekte zur Kulturellen Bildung wie die «Kiezmonatsschau: Nachrichten aus der Naunynstrasse» und «Die Dritte Generation», die im Rahmen der «Akademie der Autodidakten» entstehen, sowie Kooperationen mit freien Gruppen ergänzen das Programm.

Text: Nurkan Erpulat und Tunçay Kulaoğlu | Mit: Ercan Altun, İsmail Deniz, Pınar Erincin, Cem Sultan Ungan, Mehmet Yılmaz, Mürtüz Yolcu | Inszenierung: Nurkan Erpulat | Dramaturgie: Tunçay Kulaoğlu | Bühne & Kostüme: José Eduardo Luna

Produktion: Maria Kusche. Uraufführung HAU Berlin im Rahmen der Reihe Beyond Belonging. Wiederaufnahme am Ballhaus Naunynstrasse im Rahmen von Dogland ? Junges postmigrantisches Theaterfestival

Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds Berlin

SCHLACHTHAUS THEATER
FR 1.5. | Doppelvorstellung 18:00 und 21:30

Spieldauer: 1h 40min